Gut für Nidwalden oder schlicht unfair?
Der Abstimmungssonntag , 29. November, wird als ein trauriger Tag in die Geschichte der direkten Demokratie der Schweiz eingehen. Die Konzernverantwortungsinitiative scheiterte am Ständemehr und unser kleiner Halbkanton mit 44.000 Menschen spielte dabei eine bedeutende Rolle. Nur rund 32 Prozent stimmten der Kovi zu, nur knapp 25 Prozent der Kriegsgeschäfteinitiative. Viele haben sich sicher von der bewusst gestreuten Fehlinformation der Gegnerschaft zum Nein verleiten lassen. Beiden Initiative wurde wahrheitswidrig unterstellt, einen kolossal wirtschaftlichen Folgeschaden für die KMUs auszulösen.
Viele im Kanton haben es sich indes angewöhnt, ihre Güterabwägung nach der Parole «Nidwalden first» vorzunehmen. Ruag und Pilatus, Postkastenfirmen in Hergiswil -da stören faire Regeln nur die Geschäfte.
«Nidwalden first» – diese Haltung bestimmte auch die Mehrheit des Landrats am Mittwoch, 21. November. Der Antrag der Grünen/SP-Fraktion für Zurückhaltung beim Steuerwettbewerb wurde bis auf eine Stimme aus den Reihen der CVP niedergestimmt. «Marketing! Marketing!» jubelte der SVP-Parteipräsident Roland Blättler und forderte von der Wirtschaftsförderin Diana Hartz Zugabe, um weiter in anderen Kantonen Gutbetuchte anzuködern. Warum diese Politik, dem Versuch interkantonal Steuergerechtigkeit herzustellen, widerspricht, hat Landrat Delf Bucher in einem Papier zusammengefasst:
Im Buhlen um reiche Steuerzahler hat die Wirtschaftsförderung Nidwalden einen neuen Meilenstein gesetzt. 2000 Vermögensverwalter und Treuhänder wurden angeschrieben. Gerne wollte man sie darauf aufmerksam machen, dass ihre steueroptimierende Klientel auch vom milden Steuerklima in Nidwalden profitieren könnten. Denn dank der vom Nidwaldner Stimmvolk beschlossenen Steuererleichterungen können nun auch Vermögende mit einer gut gefüllten Pensionskasse bei der Kapitalentnahme Steuern sparen, sofern sie eben in Nidwalden Wohnsitz nehmen. Im Brief, unterzeichnet von Diana Hartz heisst es dann: «Der Kanton Nidwalden verfügt mit der aktuellen BVG – Besteuerung und Tiefen Einkommensteuer über äusserst attraktive Konditionen für natürliche Personen. Zudem bietet Nidwalden die schweizweit tiefsten Vermögensteuern. Mit einer hohen Lebensqualität, intakte Natur und eine zentrale Lage ist Nidwalden auch für Ihre Klienten der richtige Ort, um die dritte Lebensphase zu geniessen.»
Ein Pardon ohne Konsequenzen
Natürlich hat dies andere Kantone auf den Plan gerufen, wurde Nidwalden daran erinnert, dass man ein Agreement vereinbart hatte, sich nicht in der Schweiz gegenseitig die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler abzujagen. Der verantwortliche Regierungsrat mühte sich dann auch zu einem zähneknirschende Quasi-Entschuldigung gegenüber Radio SRF ab und sagte: Wir haben realisiert, dass diese Information nicht nur gut angekommen ist. Da haben wir eine gewisse Linie überschritten.»
Wir von der Fraktion Grüne/SP fragen uns: Wieweit war Regierungsrat Filliger in die Briefaktion eingeweiht? Falls indes der Versand von 2000 Briefen hinter seinem Rücken geschehen sein sollte, fragen wir uns: Hat Filliger seine ihm unterstehende Behörde im Griff?
Tiefsteuerpolitik, Mieten und Demographie
Mancher Schlaumeier wird nun denken: Marketingtechnisch ist eigentlich ein kleiner Skandal das Beste, damit es allen Vermögenden, die kurz vor der Pensionierung stehen, eingeschärft wird: Nidwalden ist der beste Platz, um mit wenig Steuereinsatz viel Geld aus der Pensionskasse entnehmen zu können und danach profitiert man von einer niedrigen Vermögensteuer. Was aber viele Nidwaldener bei einer solchen vom Kantönligeist getriebenen egoistischen Überlegung nicht in Rechnung stellen: Es gibt einen Zusammenhang zwischen Tiefsteuerpolitik und Mietzins. Die Regionalstudie der Credit Suisse weist aus, dass in Nidwalden seit 2000 die Immobilienpreise um 89 Prozent gestiegen sind. Dies hat natürlich seine Auswirkungen auf die Mieten. Bald können sich auch in unserem Kanton nur mehr die gut Betuchten leisten, hier zu wohnen. Tiefere und mittlere Einkommen werden aus Nidwalden verdrängt.
Der andere Effekt liegt an der demographischen Struktur. Will unser Kleinkanton wirklich zu einer überdimensionalen Altersresidenz am Vierwaldstättersee werden. Sollen wird das Rentnerparadies à la Florida werden?
Was ist Steuergerechtigkeit?
Wir von der Grünen/SP-Fraktion wollen aber das fiskalische Anködern von gut Betuchten nicht nur aus Nidwaldner Optik betrachten, sondern fragen uns: Was ist Steuergerechtigkeit im gesamtschweizerischen Kontext? Und wir finden, es ist Zeit die heilige Kuh des Steuerföderalismus zu schlachten. Denn letzten Endes führt das gegenseitige Hochschaukeln des föderalen Steuerwettbewerbs zu einer «Entstaatlichung» , so hat es einmal der deutsche Ökonom Peter Bofinger treffend formuliert. Immer weniger Geld kann für die Infrastruktur, für Bildung und Spitäler bereit gestellt werden. Der Blick in die USA, in der seit Reagans Zeiten der Prozess der Deregulierung zu dieser Entstaatlichung führte, zeigt: Das wird sich auf Dauer rächen.
Wir brauchen einen fairen Steuerwettbewerb mit Leitplanken. Schon vor mehr als zehn Jahren forderte der St. Galler Wirtschaftsethiker Peter Ulrich ein Bandbreitenmodell. Nach diesem sollte auf Bundesebene ein Minimum wie auch ein Maximum festgelegt werden, innerhalb dem sich die Steuersätze bewegen können.
Peter Ulrich liefert auch die Erklärung, warum es die kleinen Kantonen wie Zug, Nidwalden oder Obwalden sind, die das Steuer-Dumping in der Schweiz antreiben. Je kleiner eine politische Einheit ist, desto leichter lässt sich der Steuerverlust der bisherigen Steuerzahler wettmachen durch das neue Steueraufkommen von vermögenden Zuwanderern. Ein grosser Flächenkanton kann diese Strategie nicht einsetzen. Denn es ist ihm praktisch unmöglich, den Verlust der Steuereinnahmen, den er bei der bestehenden Kantonsbevölkerung hat, mit einer so riesigen Zahl von Zuzügern zu kompensieren. Deshalb ist auch die Behauptung falsch, dass der Steuerwettbewerb zu grösserer Effizienz der staatlichen Verwaltungen führt. Er stimuliert nur die Rosinenpickerei. Wir locken die Reichen, indem wir ihnen billige Steuern in Aussicht stellen und auf der anderen Seite auf das vom Grosskanton Luzern finanzierte kulturelle Angebot hinweisen. Dies ist vor 15 Jahren mit der Werbung der Nidwaldner Wirtschaftsförderung mit Bilder vom KKL bestens illustriert worden. Bilden wir uns nicht ein, in Nidwalden den schlankeren Staat zu haben, während in Luzern ein gefrässiges Staatsmonster ineffizient das Steuergeld verschlingt. Unser Vorteil ist die kleine Zahl unserer Bewohner und hat mit eigener Leistung – ergo mit Steuergerechtigkeit – nichts zu tun.
Autor: Delf Bucher, Landrat Grüne Nidwalden / Bild: Shutterstock